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Joseph Roth lesen mit Ingo Schulze

Wenn es einen Schriftsteller gab, den Ingo Schulze während des Schreibens seinen Buches „Der rechtschaffenen Mörder“ im Ohr hatte, dann muss das Joseph Roth sein. Schauen wir uns den jeweils ersten Satz von Schulzes „Mörder“ und Roths „Leviathan“ an.

Im Dresdner Stadtteil Blasewitz lebte einst ein Antiquar, der wegen seiner Bücher, seiner Kenntnisse und seiner geringen Neigung, sich von den Erwartungen seiner Zeit beeindrucken zu lassen, einen unvergleichlichen Ruf genoss.

Ingo Schulze: Die rechtschaffenen Mörder; S. Fischer Verlag Frankfurt 2020; S. 9

Welche schöne Hommage an den großen Joseph Roth!

In dem kleinen Städtchen Progrody lebte einst ein Korallenhändler, der wegen seiner Redlichkeit und wegen seiner guten, zuverlässigen Ware weit und breit in der Umgebung bekannt war.

Joseph Roth: Der Leviathan; S. 5
Joseph Roth: Der Leviathan; zweite Auflage 1947; mit Schutzumschlag
Joseph Roth: Der Leviathan; zweite Auflage 1947; mit Schutzumschlag

Der direkte Hinweis auf Joseph Roth folgt dann später. Wir befinden uns wieder im Antiquariat des Norbert Paulini:

Einer seiner ersten Besucher, der Archäologe Scheffel, drückte eine leicht ausgebleichte, aber noch erkennbar korallenrote Erstausgabe des „Leviathan“ von Joseph Roth an die Brust. Scheffel war noch immer perplex, dieses edle Exemplar, erschienen bei Querido in Amsterdam, in den Händen zu halten. „Solch ein ein schmaler kleiner Band“ rief er und lachte, „was das bedeutet! Das muss man sich mal vorstellen, was das heißt, 1940 in Holland ein deutsches Buch zu drucken!“

Ingo Schulze: Die rechtschaffenen Mörder; S. Fischer Verlag Frankfurt 2020; S. 72 f
Joseph Roth: Der Leviathan ohne Schutzumschlag

Dann beschreibt Paulini die Entstehungsgeschichte des Leviathan, die ich hier ergänzen will:

Das erste Kapitel des Leviathan erscheint bereits am 22. Dezember 1934 in „Das neue Tagebuch“ unter dem Titel „Der Korallenhändler“. 1936 verkauft Joseph Roth seine Novelle für fl. 200,- (holländische Gulden) an den Exil Verlag Querido in Amsterdam. 1940 wird der Leviathan gedruckt; aber erst 1945, also fünf Jahre später, ausgeliefert. Grund dafür war der deutsche Überfall auf Holland 1940. Die bereits gedruckten Bogen bewahrte die Druckerei, trotz des großen Risikos auf, sodass sie 1945 gebunden werden konnten. (siehe dazu Joseph Roth: Geschäft ist Geschäft; S. 76)

Dies ist der zweite Teil der Betrachtungen zum Roman „Die rechtschaffenen Mörder“. Den ersten Teil „Zu Gast bei Hans Kühnel mit Ingo Schulze“ gibt es hier.

BIBLIOGRAPHIE

INGO SCHULZE: Die rechtschaffenen Mörder; S. Fischer Verlag Frankfurt am Main; 2020

JOSEPH ROTH: Der Leviathan; Querido Verlag N.V. Amsterdam 1947; Zweite Auflage

JOSEPH ROTH: Geschäft ist Geschäft. Seien Sie mir Privat nicht böse, ich brauche Geld. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und den Exilverlagen Allert de Lange und Querido 1933 – 1939; Herausgegeben von Madeleine Rietra; Kiepenheuer & Witsch Köln 2005

WEITERLESEN

… Joseph Roth als großer Journalist und Romancier
JOSEPH ROTH: Werke in 6 Bänden; Herausgegeben von Fritz Hackert; Ungekürzte Lizenzausgabe für Bertelsmann Club Gütersloh; ohne Jahr (um 1990)

… Joseph Roth im Exil
JOSEPH ROTH: Aber das Leben marschiert weiter und nimmt uns mit. Der Briefwechsel zwischen Joseph Roth und dem Verlag de Gemeenschap 1936 – 1939; Herausgegeben von Theo Bijvoet und Madeleine Rietra; Kiepenheuer & Witsch Köln 1991

… Joseph Roth in der Kneipe
GEZA VON CZIFFRA: Der heilige Trinker. Erinnerungen an Joseph Roth; Berenberg Verlag Berlin 2006

… Schriftsteller und ihre Veröffentlichungen im Exil
WILHELM STERNFELD & EVA TIEDEMANN: Deutsche Exil-Literatur 1933 – 1945. Eine Bio-Bibliographie; Verlag Lambert Schneider Heidelberg 1970; Zweite, verbesserte und stark erweiterte Auflage

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